Objektive auf Dezentrierung testen

Objektive auf Dezentrierung testen
Dezentrierungstest - "Objektiv in Ordnung"

Warum sollte ich ein Objektiv auf Dezentrierung testen?

Über die Performance von Objektiven kannst du Testberichte lesen. Dazu gehören Auflösung (z. B. Anzahl der Linienpaare/mm), Vignettierung, Verzeichnung, chromatische Aberrationen.

Aber nicht jedes Objektiv einer Serie verhält sich optisch gleich. Jeder Hersteller definiert seine Spezifikationen für die Produktion und verrät diese nicht, jeder Hersteller hält es anders mit seiner Qualitätskontrolle, und insbesondere gebrauchte Objektive können eine Vorgeschichte haben, etwa Schläge oder Stöße abbekommen haben.

Du hast nun für teures Geld ein Objektiv mit Gewährleistung gekauft - und du möchtest gerne innerhalb der Gewährleistungsphase wissen, ob die neue Linse auch in Ordung ist. Du bist am Kauf eines gebrauchten Objektives aus privater Hand interessiert - und du möchtest das Objektiv nur dann kaufen, wenn du dich von seinem einwandfreien Zustand selbst überzeugt hast, was ohne große Hilfsmittel und in kurzer Zeit vor Ort erfolgen muss (mein Rat: Vorsicht beim Kauf von Objektiven ohne Gewährleistung, wenn keine Möglichkeit besteht, das Objektiv vorher persönlich ansehen zu können). Vielleicht ist dir aber auch dummerweise ein Objektiv heruntergefallen, und du möchtest wissen, ob es noch in Ordnung ist, oder ob es in die teure Reparatur muss.

Natürlich nimmst du das Objektiv zunächst in Augenschein. Ein Klappern im Inneren eines Objektives ist nicht unbedingt ein Hinweis auf Schäden. Autofokuselemente oder Linsengruppen, welche im Zuge der Bildstabilisierung bewegt werden, können beim Bewegen ganz erheblich (!) klappern. Vor dem Kauf älterer "Vintage-Objektive" solltest du mit Hilfe einer Lampe nach möglichem Pilzbefall suchen, der sich in Form von Fäden auf dem Glas zeigt. Natürlich wirst du auch auf größere Verschmutzungen auf den Linsen achten. Beachte beim Kauf gebrauchter Objektive, dass unsachgemäße Reinigung von Linsenoberflächen (etwa durch Reiben mit Papiertüchern) die Beschichtungen angreifen kann.

Was aber nicht auf den ersten Blick offensichtlich ist, worauf du meiner Meinung nach aber testen solltest, ist eine mögliche Dezentrierung. Diese kann bereits werksseitig vorliegen (durch eine breite Spezifikation oder durch Unachtsamkeit in der Qualitätskontrolle) oder durch Schläge oder Stürze hervorgerufen werden.

Dezentrierung äußert sich durch Unschärfe auf einer der Bildseiten (links/rechts oder oben/unten oder diagonal) oder mindestens einer der Bildecken, während die restlichen Bildelemente im Fokus sind. Dezentrierung fällt bei vielen Motiven nicht auf, aber wenn man dann doch mal Objekte fotogafiert, welche Schärfe über weite Teile des Bildes hinweg erfordern, ist man unzufrieden.

Und wie teste ich nun ein Objektiv auf Dezentrierung?

Im Folgenden stelle ich einen wirksamen Test auf Dezentrierung vor, welcher rasch durchzuführen ist. Wenn es einmal sehr schnell gehen muss (etwa beim Kauf eines gebrauchten Objektives), kannst du den Test ohne große Abstriche weiter vereinfachen.

  1. Wähle ein Objekt, welches in eine Bildecke passt und eine gewisse Struktur hat. Es soll weiter entfernt sein, so dass das Schwenken der Kamera keinen großen Einfluss auf die Fokusdistanz hat. Wie weit, das hängt von der Brennweite ab. Dein Objekt soll sich nicht bewegen - Bäume und Pflanzen sind ungeeignet. Gut geeignet sind zum Beispiel Kaminspitzen, Schilder mit Text, Kirchturmuhren, Berge.
  2. Wähle eine weit offene Blende (der Effekt wird umso deutlicher, je offener die Blende). Weit offen bedeutet kleine Blendenzahl (z. B. f/2 oder f/4, nicht f/22).
  3. Idealerweise verwendest du ein Stativ. In diesem Falle wähle Basis-ISO (den niedrigsten ISO-Wert). Stelle die Bildstabilisierung aus. Wähle elektronischen Verschluss, verwende einen Kabel- oder Drahtlos-Auslöser.
    Zweitbeste Option: Wenn du kein Stativ zur Hand hast, oder wenn es schnell gehen muss (du stehst verschwitzt mit einem gebrauchten Objektiv vor der Haustür des Verkäufers, und es wird gleich dunkel), wähle eine Verschlusszeit, ggfs. zusammen mit Bildstabilisierung, bei der du aus der Hand nicht verwackelst, und akzeptiere einfach den sich ergebenden ISO-Wert.
  4. Stelle die Belichtungsparameter so ein, dass sie für dein Objekt passen und für die folgende kleine Serie konstant bleiben, egal in welche Richtung du die Kamera hältst. Beispielsweise durch manuelle Einstellung von Verschlusszeit und ggfs. ISO (die Blende ist ja schon gesetzt).
  5. Fokussiere nun bildmittig auf das Objekt und fixiere die Fokuseinstellung so, dass sie für die folgende kleine Serie konstant bleibt. Dies kann z. B. dadurch erfolgen, dass du unmittelbar danach auf manuellen Fokus umschaltest und den Scharfeinstellring im weiteren Verlauf nicht mehr berührst. Ein Bild mit dem Objekt im Zentrum solltest du interessehalber aufnehmen, so bekommst du ein Gefühl für die Abweichung der Auflösung in den Ecken.
  6. Nimm nun vier Aufnahmen auf, indem du das Objekt nacheinander in jede der vier Bildecken positionierst. Möglichst immer gleich weit von den Bildrändern entfernt. Die Reihenfolge der Ecken spielt keine Rolle. Verändere dabei keinesfalls die Entfernungseinstellung. Benutze nicht den Autofokus. Wenn das passiert, oder wenn du unsicher bist, lösche die Bilder direkt und beginne von vorne. Wenn die Scharfeinstellung auf das Objekt nicht 100 % genau passt, ist das weniger schlimm, als wenn diese zwischen den Fotos verändert wird.
  7. Bei Zoomobjektiven wiederhole alles für mehrere Brennweiten (mindestens Anfang, Mitte, Ende).
  8. Lade am Rechner die Bilder der vier Ecken in dieses Tool: Keepcoding. Wenn es schnell gehen muss (du stehst an besagter Haustüre, und der Verkäufer wird schon ungeduldig), kannst du die Ecken auch am Display oder im Display-Sucher deiner Kamera anschauen.

Und wie interepretiere ich nun das Ergebnis?

Eine vernachlässigbare Dezentrierung erkennst du i.d.R. sofort.

In Grenzfällen kann eine eindeutige Entscheidung zwischen "noch zu tolerieren" oder "nicht akzeptabel" schwierig sein.

Augenmaß und Vernunft sind gefragt. Perfektion kannst du nicht erwarten, insbesondere nicht für günstigere Objektive. Ich rate davon ab, ein neues Objektiv bei kleinsten Abweichungen zurückzuschicken. Es muss eine "vernünftige" Übereinstimmung der Auflösung in den vier Ecken geben. Es ist normal, dass es kleine Abweichungen der Auflösung in den Bildecken gibt. Es ist normal, dass die Auflösung in den Ecken nicht ganz an die des Zentrums heranreicht, insbesondere bei älteren oder günstigeren Objektiven, insbesondere bei offener Blende. Bei Zoomobjektiven musst du mehr Abweichung tolerieren als bei Festbrennweiten. Zoomobjektive performen bei niedrigeren Brennweiten meist besser verglichen mit höheren Brennweiten.

Wenn du eine größere Abweichung der Auflösung in einer oder zwei Ecken feststellst, rate ich dir, den Test vor dem Zurücksenden erstmal mit einem oder mehreren anderen Objekten, idealerweise auch mit einem zweiten Objektivexemplar, zu wiederholen. Wenn du Glück hast, kannst du ein zweites Exemplar desselben Objektivs von Freunden borgen und in aller Ruhe einen Vergleich herstellen.

Beim Gebrauchtkauf lass die Finger davon, wenn du unsicher bist, insbesondere dann, wenn du das Objektiv ohne Gewährleistung erwirbst.

Beispiele für Objektive, die "in Ordnung" sind

Hier ein Beispiel mit einem hervorragenden Ergebnis (Fujifilm XF 16-55 mm bei 16 mm, Fujifilm X-T20, f/5,6, ISO 200, Stativ, 100 %-Ausschnitte):

Fujifilm XF 16-55 mm bei 16 mm, Fujifilm X-T20, f/5,6, ISO 200, 100 %-Ausschnitte

Hier der dazugehörige Vergleich zwischen Bildmitte und rechter oberer Ecke:

Fujifilm XF 16-55 mm bei 16 mm, Fujifilm X-T20, f/5,6, ISO 200, 100 %-Ausschnitte

Hier ein Beispiel mit einem Ergebnis, welches man meiner Meinung nach tolerieren sollte, auch wenn man leichte Abweichungen sieht (Fujifilm XF 16-55 mm bei 55 mm, Fujifilm X-T20, f/5,6, ISO 200, Stativ, 100 %-Ausschnitte):

Fujifilm XF 16-55 mm bei 55 mm, Fujifilm X-T20, f/5,6, ISO 200, 100 %-Ausschnitte

Hier der dazugehörige Vergleich zwischen Bildmitte und rechter oberer Ecke (man sieht, dass die Ecke nicht ganz so gut aufgelöst ist wie das Zentrum - das ist normal - Preis, Objektivtyp [Zoom oder Festbrennweite], Blende beachten):

Fujifilm XF 16-55 mm bei 55 mm, Fujifilm X-T20, f/5,6, ISO 200, 100 %-Ausschnitte

Hier ein weiteres Beispiel mit einem sehr guten Ergebnis (Viltrox 13/1,4, Fujifilm X-T20, f/4, ISO 400, aus der Hand geschossen, 100 %-Ausschnitte):

Viltrox 13/1,4, Fujifilm X-T20, f/4, ISO 400, 100 %-Ausschnitte

Ein Dezentrierungstest ist natürlich auch mit einem Testchart möglich (hier: Fujifilm XF 18-55 bei 18 mm, Fujifilm X-T20). Eine Testtafel ist aber weder erforderlich noch empfehle ich sie, denn (a) ist die Distanz gering, insbesondere bei Weitwinkelobjektiven und (b) fehlt der Bezug zur Realität ("was bedeutet das Testergebnis denn in der Praxis, wie sieht ein Bild aus?"). Es gibt spezielle Testtafeln für Dezentrierung ("Zeiss-Siemens-Star-Chart").

Fujifilm XF 18-55 bei 18 mm, Fujifilm X-T20

Ein Beispiel für einen Grenzfall

Hier ein Beispiel für ein Objektiv mit Dezentrierung (Fujifilm XF 55-200 mm bei 200 mm, Fujifilm X-T20, f/5,6, ISO 200, Stativ + Objektivauflage, 100 %-Ausschnitte).

Fujifilm XF 55-200 mm bei 200 mm, Fujifilm X-T20, f/5,6, ISO 200, 100 %-Ausschnitte

Dies ist ein Grenzfall, da es sich um zum einen um ein Zoomobjektiv handelt, zum zweiten um ein Objektiv der Consumer-Klasse (also keine Professional-Linie), und zum dritten das Objektiv bei dessen maximaler Brennweite getestet wurde, wo die meisten Zoomobjektive sich nicht von ihrer besten Seite zeigen.

Fazit

Einen Test auf Dezentrierung empfehle ich bei jedem Objektivkauf. In diesem Artikel habe ich einen Test beschrieben, welcher kein Test-Chart erfordert, welcher schnell und einfach mit i.d.R. vorhandener Ausrüstung (lediglich Stativ und Fernauslöser, notfalls, wenn es schnell gehen muss, auch ohne beides) durchzuführen ist, und welcher ein klares Bild ergibt. Berücksichtige bei der Interpretation Objektivtyp (Zoom vs Festbrennweite) und Preisklasse, und lasse deinen gesunden Menschenverstand walten.

Ich hoffe, ich konnte dir mit meinen Tipps und den Beispielen aus der Praxis helfen.

Hiermit erkläre ich, dass zu den Inhalten dieses Artikels kein Interessenskonflikt vorliegt. Meine Kameras und Objektive habe ich selbst bezahlt.

Autor: Martin Lang